
Seit Jahrhunderten erfolgreich: die Uhr als Luxusgegenstand mit globaler Anziehungskraft
Der Markt der Luxusuhren – was macht seine Marken so erfolgreich?
Artikel
5. März 2012 ▪ Lesezeit: ca. 3:50 Min.
Zugegeben: Es ist leichter, aus einer mechanischen Uhr ein Luxusprodukt zu formen als aus einer Tube Zahnpasta. Der klassische Zeitmesser eignet sich aus verschiedenen Gründen, Menschen in ihrer Suche nach dem Außergewöhnlichsten und Exklusivsten anzusprechen und ihnen dabei Identität und das Gefühl von Bedeutung zu vermitteln. Doch sind es nicht nur originäre, im Gegenstand der Uhr selbst liegende Ursachen, weshalb die Uhr seit bald 300 Jahren eine Erfolgsgeschichte des Luxus schreibt.
Vielmehr lag und liegt ihre Leistung auch in der Fähigkeit großer Uhrmacher und Unternehmer, professionelle Markenführung und Markenmanagement zu betreiben. Es ist eine Branche mit besonderen Fähigkeiten.
Werfen wir – anlässlich der Weltmesse für Uhren und Schmuck Baselworld (8. März bis 15. März 2012) – einen kurzen Blick auf den Markt der Luxusuhren: auf seine Markenhistorie und die Markenführung.
Zeitmesser dienen dazu, den Menschen durch die Angabe einer möglichst präzisen Zeit, das Dasein im Alltag, in den Wissenschaften, beim Reisen, in der Wirtschaft und in vielen anderen Lebensbereichen zu erleichtern. Doch dass sie nicht nur erworben werden, um auf ihnen die Zeit abzulesen, liegt auf der Hand. Enthusiasten leisten sich eine feine (und in der Regel teure) Uhr aus mehr als nur rationalen Gründen: Die Mystik der Mechanik fasziniert. Uhren stellen in ihrer klassischen Funktionsweise einen archaischen und deshalb anziehenden Gegenentwurf zur digitalisierten Welt dar. Das trifft auch auf die kunsthandwerkliche und traditionelle Fertigung von Uhren in Manufakturen und kleinen Werkstätten zu.
Mechanische Zeitmesser gefallen in ihrer Schönheit, sie sind ein philosophischer Gegenstand des „momento mori“. Und hochwertige Uhren vermitteln selbstverständlich Status. Das ahnte vor über 200 Jahren schon der große Uhrmacher Abraham-Louis Breguet, der seine Pretiosen mit kaufmännischen Geschick und Vorliebe an den französischen Hof und die wichtigsten Staatsdiener zu verkaufen wusste. Die Uhr ist eine ausdrucksvolle Visitenkarte am Handgelenk ihrer Trägerin oder ihres Trägers.
Zweifelsfrei kommt der Luxusuhrenindustrie zugute, dass ihr zentraler Standort, die Schweiz, in den letzten Jahrhunderten nicht durch Kriege in Mitleidenschaft gezogen wurde – wie dies beispielsweise in Deutschland der Fall war. Und durch geschicktes Agieren mutiger und visionärer Unternehmer wie Nicolas G. Hayek oder Günther Blümlein konnten auch in den letzten Jahrzehnten einschneidende Struktur- und Wirtschaftskrisen – zum Beispiel das Aufkommen der Quarzuhr in den 70er Jahren – bewältigt und neue Impulse gesetzt werden.
Doch erklärt das alles nicht den ungebrochenen Erfolg der Uhr als Luxusgegenstand mit globaler Anziehungskraft. Das Segment der hochwertigen Uhren ist allein in den letzten 10 Jahren um mehr als 10 Prozent gewachsen – im Durchschnitt pro Jahr! Dies wäre nicht ohne professionelles Wirken der Uhrenmarken möglich gewesen.
So gelingt es der Luxusuhren-Branche, die Begehrlichkeit ihrer Marken hoch zu halten:
1. Persönlicher Kundenkontakt statt analystische Marktforschung
Ein zentrales Kennzeichen der Branche ist traditionelle Kundennähe. Durch unzählige Veranstaltungen am PoS, das Öffnen der Manufakturen für Führungen, den früh begonnenen Aufbau von engagiert betreuter Social Media werden feine Uhrenmarken und ihre Protagonisten für Konsumenten persönlich erfahrbar. Dies schafft Kundenbindung – und generiert gleichzeitig einen permanent aktualisierten Pool an Marktkenntnis.
Interessanterweise kommt die Uhrenindustrie jedoch fast ohne methodische Marktforschung aus. Conjoint-Measurements, repräsentative Panels, Testmarkt-Analysen, um nur einige Stichworte anzuführen, finden quasi keine Anwendung.
2. Präzise Positionierung der Luxusmarken
Nicht nur der klare Kundenfokus, der auch den klassischen Facheinzelhandel umfasst – obwohl Hersteller sich in den letzten Jahren verstärkt bemühen, mit eigenen Corporate Stores den Endkunden direkt zu bedienen (vertikale Integration nach vorne) – ist typisch für dieses Segment. Zudem zeichnet es eine hohe strategische Disziplin aus. Die meisten Marken weisen präzise Positionierungen auf, die über große Zeiträume ihre Gültigkeit behalten. Die Umsetzung langfristiger Leitlinien in den Marketing-Mix erfolgt in kohärenter Weise.
3. Innovationskraft hält Begehrlichkeit der Uhrenmarken aufrecht
Eine klassische Uhr ist eine klassische Uhr. Und dennoch gelingt es, diese immer wieder durch eine erstaunliche und ungebrochen hohe Innovationskraft zu beleben. Auch nach Jahrhunderten überraschen Konstrukteure die Uhrenfachwelt mit neuen, aufregenden Funktionen für Zeitmesser – sogenannte Komplikationen – und halten damit die Branche „top-of-mind“. Die Gratwanderung einer behutsamen Erneuerung von Kollektionen in einer von Traditionen geprägten Uhrenwelt gelingt in der Leistungsgestaltung. Dabei bleiben Basiswerte wie Qualität, Langlebigkeit, die Verwendung edelster Materialien usw. beständig.
4. Markenkommunikation vermittelt Lebenskultur
Auch die Kommunikation von Marken wie A. Lange & Söhne, Breguet, Patek Philipp oder Vacheron Constantin leistet ihren Beitrag und vermittelt die Uhr als Ausdruck hoher Lebenskultur in angemessener Weise. Dies geschieht in Kampagnen, in der Gestaltung von Verpackungen, der Wertigkeit von Katalogen oder dem Layout beeindruckender Erlebniswelten in Mono-Brand-Boutiquen. Hilfreich sind angemessene Budgets, die ausreichend Kommunikationsdruck in den Märkten erzeugen.
5. Strenger Blick auf die Preisgestaltung der Marken
In kaum einer Industrie dürfte die Preisgestaltung sich derart komplex zeigen. Starke Währungsschwankungen und rapide steigende Herstellungskosten (Stichwort Edelmetalle) gilt es global zu kompensieren, obgleich sich zum Beispiel lokale Nachlässe von Publikumspreisen in Ländern mit starken Valuten in der Welt des Luxus schon aus Imagegründen verbieten. Die Marken machen aus der Not eine Tugend und argumentieren offensiv nach dem Motto: „Was nichts kostet, ist nichts wert“. Intern betreiben sie gleichzeitig ein strenges Monitoring von Währungen und Einstandspreisen, reduzieren Kosten entlang der Wertschöpfungskette und optimieren die Margenstruktur mit Handelspartnern.
6. Stetige Kontrolle der Warenflüsse
Und auch in der Distribution wird der Begriff Luxus ernst genommen. Feine Marken präsentieren sich bei feinen Juwelieren und Uhrenfachgeschäften. Das Internet wird als Verkaufskanal bislang konsequent vermieden. Auch wenn es in der Luxusuhrenindustrie gleichfalls zu den typischen Phänomenen wie Graumärkte und Reimporte kommt, so gibt es doch aktive Bemühungen, durch eine Kontrolle der Warenflüsse, die Distribution so sauber wie möglich zu halten. Uhren werden kodiert, um sie verfolgen zu können, Mystery Shopping sendet Signale an den Handel, dass er unter Beobachtung steht.
Die Industrie der Luxusuhren ist nicht perfekt, sie hat sich aber vergleichsweise professionell aufgestellt. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die zunehmende Konzentration auf Hersteller- wie Handelsseite haben wird. Doch das Bestehen und sogar die Neugründungen von kleinen, unabhängigen und sehr hochwertigen Uhrenmarken wie Urban Jürgensen, Philippe Dufour oder Kari Voutilainen lässt vermuten, dass auch sie ihren Beitrag leisten werden, diese wunderbare Industrie ins nächste Jahrhundert zu führen.
Der Autor: Dr. Frank Müller gründete 2009 in Dresden die Unternehmensberatung „The Brigde to Luxury“, die sich auf Luxus- und Premiummarken konzentriert. Zuvor war er unter anderem 12 Jahre lang in führenden Positionen der Luxusuhrenbranche aktiv, davon 6 Jahre CEO bei Glashütte Original und 3 Jahre Geschäftsführer bei A. Lange & Söhne.
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