
In der digitalen Welt sollte vor allem geprüft werden, ob die Wertesysteme der Partner zusammenpassen – und nicht ihre Spezialkompetenzen.
8. Leitgedanke: Das Ende der Einzelkämpfer
Artikel
13. August 2018 ▪ Lesezeit: ca. 3:20 Min.
Abstract
Dieser Beitrag ist der 8. Teil der Serie „10 Leitgedanken zur Digitalen Agenda für Deutschland und Europa“. Sie entstand dank der vielfältigen Inspirationen auf dem Giga-Gipfel, zu dem unser Partner Jürgen Gietl eingeladen war. Fünfzig Vordenker – Vorstandschefs, Internetpioniere und Zukunftsforscher – starteten in Sölden das „Digitale Manifest des 21. Jahrhunderts für Deutschland und Europa“. Die Initiatoren waren deutsche Leitmedien wie Handelsblatt, Zeit und Wirtschaftswoche.
Ob Kaufmannsgilden in Nordwesteuropa, die Hanse an der Küste, Handelskompagnien in Italien, Genossenschaften in der Finanzwelt oder Erfa-Gruppen: Dass sich Unternehmen gegenseitig unterstützen, ist nicht neu – es hat sogar eine lange Tradition. Neu jedoch ist die Dimension und Art der Zusammenarbeit, die wir nun im digitalen Zeitalter erleben. Alte Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten verschmelzen, die Startup-Kultur und junge Plattformen prägen neuartige Prozesse und Formen des Austauschs.
Nachwuchskräfte aus der Generation der Millenials zeichnen sich dadurch aus, dass sie besonders stark vernetzt sind. Diese Voraussetzung nutzen sie auch im professionellen Umfeld. Die Haltung der Zusammenarbeit gegenüber verändert sich.
Speed und Komplexität verlangen Spezialisierung und Zusammenarbeit
Die Geschwindigkeit, mit der sich Technologien und Kundenwünsche verändern, verlangt nach einer Potenzierung bisheriger Kompetenzen. Sobald ein Unternehmen beginnt, die Verbrauchersicht einzunehmen, erkennt es womöglich: Es fehlt ihm das Knowhow, um Kunden von der ersten Idee bis zum Endprodukt „End-to-End" optimal zu bedienen.
Was tun?
- Die Kompetenz und damit die Glaubwürdigkeit zu dehnen und zu stressen?
- Sich nur für einen Teil der Liefer- oder Wertschöpfungskette bis zum Kunden verantwortlich fühlen?
- Neue Arten der Zusammenarbeit eingehen und Lieferanten sowie Kooperationspartner als Teil seines Leistungsversprechens sehen?
Aus Kundensicht entstehen in dieser Zeit Fragen, die auch bei unternehmensinternen, komplexen Markenarchitekturen anzutreffen sind: Welche Marke hat welche Rolle und liefert welchen Wert für das Gesamtsystem? Wer übernimmt für welches Versprechen die Verantwortung?
Kooperation im Netzwerk, Abgrenzung in der Marke – funktioniert das?
Hat man seine B2B-Marke über Jahre mit klaren Grenzen und Differenzierung zum Wettbewerb geführt, ist heute anderes gefragt: sich öffnen und zusammenarbeiten. Passt das zusammen? Aus markenstrategischer Sicht birgt das Zusammenarbeiten durchaus Risiken.
Die integrierende Kooperation – etwa von Technologielieferanten – kann ins Schlingern geraten, wenn Partner ihre Grenzen missachten und glauben, anderen einen Teil vom Kuchen wegnehmen zu können. Alle Beteiligten können aber nur effektiv zusammenarbeiten, wenn jeder einzelne weiß, wofür er steht, worin er überlegen ist und welchen Teil er zum Gesamtsystem beiträgt – wenn also jeder seine innere Mitte gefunden hat. Dann läuft keiner Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu kommen und sich selbst zu verlieren, was permanente Kompetenzgerangel und Querelen zur Folge hätte.
Neue Arten der Kooperation brauchen also klare Rollen für alle Beteiligten und Klarheit, wofür jeder Einzelne steht und welchen Wertbeitrag er liefert.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Warum funktionieren manche Partnerschaften, warum scheitern andere? Trotz gemeinsamer Ziele, offensichtlicher Synergien, perfekt zusammenpassender Spezialkompetenzen scheitern sie häufig an einem: an unterschiedlichen Wertesystemen. Daran zerbrachen schon große Kooperationen wie Daimler und Chrysler. Und auch Zusammenschlüsse träger Konzerne mit kleinen, agilen Startups.
Es fehlt ihnen nicht am Willen zur Zusammenarbeit, es fehlt nicht an einem gemeinsamen Ziel zum Wohle der Kunden. Einzig die Unterschiede im Wertesystem – und die darauf basierende Art der Herangehensweise, Kultur und Sichtweise – ist häufig die Ursache für Misserfolg.
Meistens werden Kooperationen geschmiedet, weil sich die Leistungen ergänzen. Sie können aber auch ungeplant entstehen: Weil sich die Protagonisten sympathisch sind und den Eindruck haben, dass sie zusammenpassen – etwa, wenn man in einem Startup-Hub in San Francisco zusammensitzt und über Technologien, Geschäftsmodelle und Marketingideen diskutiert.
In der digitalen Welt sollte vor allem geprüft werden, ob die Wertesysteme der Partner zusammenpassen – und nicht ihre Spezialkompetenzen.
Teilen bekommt einen neuen Wert
Wo entsteht der tatsächliche Wert von Technologien, Innovationen und Spitzenleistungen? Immer an der Schnittstelle zum Kunden. Was für Kunden wertlos ist, wird auch nichts zur Wertschöpfung beitragen.
Einzeln betrachtet besitzen die Bausteine einer Kundenlösung noch keinen Wert. Eine KI-Sprachsoftware gewinnt diesen erst, wenn sie Anwendung in einem Bot oder einem Sprachassistenten wie Alexa findet. Ein Roboter hat ein Problem, wenn er wegen fehlender, passender Sensoren nur mangelhaft funktioniert. In der B2B-Industrie entsteht der Wert von Zwischenprodukten häufig erst in nachgelagerten Stationen der Wertschöpfungskette – oder durch die Zusammenarbeit mit Partnern, die auf gleicher Stufe der Wertschöpfungskette stehen.
Rein digitale Unternehmen haben das längst verstanden. Sie wissen: Die beste Software für das Abwickeln digitaler Bestellprozesse ist wertlos, wenn das Interface nicht kundengerecht gelingt – also einfach, schnell, sicher oder unterhaltsam ist.
Eine Gemeinschaft macht also nur Sinn, wenn durch sie mehr Wert für den Kunden entsteht.
Start-ups haben nichts zu verlieren
Warum funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Startup-Unternehmen eigentlich so gut? Zum einen, weil viele Jungunternehmer einer Generation angehören, in der Teilen und Vernetzen per se als wertvoll erachtet werden. Zum anderen, weil sie letzlich nichts zu verlieren haben: Häufig können sie nicht kopiert werden, weil es weder ein Geschäftsmodell noch eine etablierte Technologie oder definierte Prozesse gibt. Und gibt es eine nachahmenswürdige Technologie, geben sie die ersten Gelder für den Patentschutz aus, damit auch hier kein Problem besteht.
Die beiderseitige Inspiration und das Fokussieren auf Spezialkompetenzen sind den Verantwortlichen und Mitarbeitern solcher Unternehmen mehr wert als das Abschotten hinter Fabriktoren. Zugleich ist aber zu beobachten, dass sie durchaus Grenze ziehen: Bis zu einem gewissen Grad sind sie offen – der Rest jedoch bleibt eine Blackbox. Das schützt nicht nur vor Industriespionage – es steigert auch den Mythos um eine Marke.
Denn auch im neuen Zeitalter gilt: Nur eine Marke mit starken Grenzen bleibt anziehungsstark. Das gilt auch, wenn sie Partner einer Gemeinschaft sind.
Weitere Insights und Handlungsempfehlungen erhalten Sie beim Markenseminar für B2B- und Technologiemarken mit dem Markenexperten und Buchautor Jürgen Gietl.
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Die Serie "10 Leitgedanken zur Digitalen Agenda für Deutschland und Europa":
1. Leitgedanke: Wir brauchen "Made in Germany" – und keine Silicon-Valley-Kopien
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6. Leitgedanke: Mit Daten zu mehr Empathie
7. Leitgedanke: Auf Schnittstellen und Services kommt es an
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