
Marken ohne „Big Idea“ haben oft wenig Anziehungskraft. Und in Zukunft immer weniger. Denn das, was im Übermaß knapp ist, sind Besonderheit, Haltung und Sinn.
Zukunft der Markenführung (2/4)
Die Digitalisierung – für Marken mehr Chance als Bedrohung
Auch wenn es gerne behauptet wird: Inwiefern bedroht die Digitalisierung die Marke? Klar, der Wettbewerber ist nur einen Klick entfernt, jede Produktlüge wird durchschaut. Leistungstransparenz und zunehmendes Kundenwissen schwächen Marken, die ohnehin leistungsschwach sind. Gatekeeper wie Google, Amazon und Facebook schicken sich an, den Kundenkontakt zu dominieren. Die Markenkontrolle scheint in sozialen Netzwerken zu entgleiten.All das verunsichert Markenmacher und Marketingleiter und sie suchen nach Lösungen, häufig in operativer Hektik des „Trial and Error“. Das ist zum einen richtig, weil es eine Eroberung von Neuland ist. Zum anderen aber ist es wenig zielführend, weil sie dabei oft die Kraft ihrer Marke vernachlässigen. In diesem Fall schauen sie immer nach den anderen, agieren beliebig – und nicht auf eine Weise, die ihre Marke einzigartig, von andern unterscheidbar macht. Sie nutzen ihre Werte nicht, um sich abzugrenzen, besondere Geschichten zu erzählen, einzigartige Spitzenleistungen zu beweisen, in der Tiefe ihrer Leistungen das Besondere herauszuholen, um täglich für ihre Kunden und User unverzichtbar zu werden.
„Geschäftsmodelle wandeln sich. Werte bleiben.“ Aus dem Vortrag "Was kommt nach der Digitalisierung? Brand Resilience: Warum starke Marken das Einzige sind was bleibt". Marketing Management Kongress (MMK) 2015 in Berlin
Das ist die Aufgabe der Zukunft: sich gegenüber Wettbewerbern und neuen Gatekeepern durch Besonderheit im täglichen Kampf um Aufmerksamkeit durchzusetzen.
Was aber bringt die Digitalisierung meiner Marke? Diese Frage wird meiner Einschätzung nach zu selten gestellt. Denn sie ist ein kraftvoller Booster für die Markenführung, wenn diese sich darauf einlässt:
- Die Digitalisierung eröffnet zehn bis 20 mal mehr Kontakte mit den Kunden und Interessenten sowie einen Marktzugang in die ganze Welt – zu deutlich geringeren Kosten als bisher!
- Über die digitalen Kanäle können selbst kleine Hersteller die ganze Welt bedienen.
- Ein Unternehmen kann Kunden über Services und Content täglich Nutzen stiften.
- Man kann die Kunden einbinden in ein Brand Eco-System, um die Beziehungen zu vertiefen, die Konversionsrate und Weiterempfehlung zu steigern. Das gilt aber nur, wenn ich etwas Besonderes erzählen und bieten kann.
Die Digitalisierung ist für die Marke also mehr Chance als Bedrohung, weil wir besser mit den Kunden kommunizieren können. Wir können die Besonderheiten, die Einzigartigkeit, die Leistungsbeweise, verpackt in Geschichten, günstiger vermitteln als in der klassischen Welt.
Marken haben die Aufgabe, die Kaufentscheidung zu erleichtern
Sofern ich diese Besonderheiten besitze! Denn in der inhaltlichen wie funktionalen Austauschbarkeit liegt oft das Kernproblem der Marketingpraxis – trotz neuer und notwendiger (!) Fähigkeiten wie SEO, SEM, Content-Marketing und toller Apps. Im digitalen wie im echten Leben haben Marken die Aufgabe, die Kaufentscheidung zu erleichtern: durch Vorvertrauen und klare Differenzierung. Wenn die Marken aber austauschbar, verwässert und unklar sind, entwickeln sie keine anziehende Wirkung. Hier müssen so manche Markenmanager noch ihre Hausaufgaben machen. Denn eine austauschbare Leistung und Story wird auch als App oder Facebook-Post nicht besser.
Schlüsselfragen der Zukunft: Was macht mich einzigartig? Was kann „Nur“ meine Marke und nicht „Auch“? Was macht ihre Marke täglich unverzichtbar?
Marken brauchen eine „Big Idea“
Es stellt sich also die Frage: Was macht Marken in digitalen Zeiten anziehend und unverzichtbar? Gute Marken waren schon immer „Konzepte des Wünschenswerten“, mit eigenen Mikroideologien, die diese zu Geschichten verdichten – durch Codes, Artefakte, Designs, Rituale, Symbole, Verhalten und Leistungen – und über digitale Kanäle zugänglich machen.
Von Coca-Cola („Fun“), Disney („Fun Family, Entertaiment“), Sony, Porsche, Ikea (“democratizing good living“) bis hin zu Apple, Google und Facebook („give people the power to share and make the world more open and connected“) – all diese Marken haben ihre Mikroideologie, die sich im Mission Statement, in der Big Idea der Marke verdichtet wiederfindet. Diese ist der Leitstern, der Impulse für neue Geschäftsideen setzt, Halt im Wandel gibt und Glaubwürdigkeitsgrenzen zieht, ganz im Sinne der Passung neuer Ideen. Darin liegt ihre Ur-Kraft, der Sinn, der Zweck der Marke, der jenseits des Geldverdienens eine höhere Bedeutung verleiht.
Marken ohne Big Idea hingegen haben oft wenig Anziehungskraft. In Zukunft immer weniger. Denn das, was im Übermaß knapp ist, sind Besonderheit, Haltung und Sinn. Aber dazu kommen wir später.
Schlüsselfragen der Zukunft: Was ist Ihr „Why“, Ihre Mission und Mikroideologie? Was würde der Welt, Ihren Kunden fehlen, wenn es die Marke nicht mehr gäbe? Was gibt Ihrem Produkt, Ihrem Unternehmen eine Bedeutung jenseits des Geldverdienens? Über welche „Codes“ vermitteln Sie das?
Nach dem Agrar-, Industrie- und Informationszeitalter kommt das „Age of You“
Was also wollen Kunden heute und morgen? Schon heute kaufen Kunden nicht allein Produkte – es geht ihnen um das Erfüllen eines Wunsches oder um das Beseitigen von Lebensknappheiten – letztendlich um Bedeutung. Dabei wird der Kunde immer mehr zum Ko-Kreator, Autor und Produzenten der Markengeschichte. Und damit zum künftigen Wertschöpfungstreiber schlechthin.
Wirtschaftsgeschichtlich treten wir nach dem Agrar-, Industrie- und Informationszeitalter in das „Age of You“, wie andere Autoren und ich es nennen, ein. Warum? Weil zusätzliche Wertschöpfung nur noch aus uns selbst entsteht. Die digitalen großen Vier – Google, Amazon, Facebook und Apple – bieten Plattformen, Technologien und Tools, mit denen wir unser Leben produktiv und lustvoll ausbeuten.
Wir veröffentlichen Privates, kommunizieren, bebildern, teilen unser Selbst, vermarkten unser Essen und suchen dafür Anerkennung. Wir sammeln und teilen Fotos, Bilder, Filme, Stories, sind kreativ, spielen mit der Welt. Wir verwirklichen uns und verfeinern unseren Konsum. Wir sind sozial produktiv, indem wir in sozialen Medien nach dem Motto „Broadcast Yourself“ Meinung machen, zugehörig sind, etwas liken, frienden oder de-frienden. Im Social Web sind wir Message, Medium und Produkt zugleich.
Das „Ich“ wird zur Wertschöpfungsquelle
Wir „zahlen“ mit unserem Leben und bekommen Anerkennung und Liebe im Form von Unique Users, Followern und Likes. Die » großen Plattformen mit ihren „Sirenenservern“ (Jaron Lanier) schöpfen den Wert über Daten, deren Erkenntnisse, deren Vermarktung ab und werden mit jedem Besuch und User mächtiger. Wohin das führen kann, sehen wir in dem wunderbaren » Buch „The Circle“ von Dave Eggers. Aber dazu bräuchte es einen Extra-Artikel.
Wir wissen ja von Apples CEO » Tom Cook: „Ist ein Angebot umsonst, sind wir nicht sein Kunde, sondern das Produkt.“ Also sind wir, unsere Ichs, die zusätzliche und am stärksten wachsende Wertschöpfungsquelle der Zukunft. Unlimitiert und nachwachsend. Das ist erst einmal ohne Wertung zu nehmen.

Was kommt nach der Digitalisierung?
Wenn unser Selbst zur Wertschöpfungsquelle wird und » Marken sich um uns herum strategisch aufbauen, dann ist die Frage: Wo liegen denn unsere Sehnsüchte, Knappheiten und Vorstellungen des Wünschenswerten nach der Digitalisierung? Denn die Digitalisierung ist ja nur eine Technik. Technik ist schon immer Befähiger und Befriediger menschlicher oder gesellschaftlicher Bedürfnisse. Oder eben Grundlage neuer, zum Teil disruptiver Geschäftsmodelle und Services, die so noch keiner kannte – aber gut findet.
Ich will die Digitalisierung bewusst nicht klein reden, sie ist ein Orkan. Aber trotzdem nur eine Technik, ein Hilfsmittel. Nicht mehr. Information kann man nicht essen. Weil die Wirtschaft eine Problemlösungs- und Wunscherfüllermaschine ist, stellt sich für Markenmacher nun die Frage, was eben in dieser digitalen Zeit für Kunden und Interessenten knapp und begehrt ist.
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