
Sehen, Fühlen, Riechen, Hören: Menschen lieben Sinnesanregungen – auch beim Einkauf
Multisensorik
Warum Marken alle Sinne überzeugen müssen
Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Supermarkt vor dem Regal mit Ketchupmarken. Ihr Lieblings-Ketchup wird sowohl in der Glasflasche angeboten als auch in der Plastikflasche, die man kopfüber auf den Tisch stellen kann. Für welche der beiden würden Sie sich spontan entscheiden?
Wer pragmatisch denkt, präferiert die Kunststofflasche: Sie ist leichter, robuster, besser transportierbar und das Ketchup kann besser dosiert werden. Welche Vorteile sollte dann die Glasflasche haben? Neben einem „gefühlt“ reineren Inhalt und vermeintlicher Umweltfreundlichkeit gibt es wenige rationale Gründe, die für sie sprechen. Dennoch: Die Glasflasche hält sich seit 1869, als Heinz den Ketchup erfand, hartnäckig in den Regalen.
Das Erstaunliche dabei: Kunden sind sogar bereit, mehr dafür zu bezahlen! Ein Preisvergleich in der Schweiz zeigt, dass das Ketchup in der Glasflasche um rund 16 Prozent teurer verkauft wird als das Ketchup in der Plastikflasche. Wohlgemerkt: es handelt sich um dieselbe Marke mit exakt demselben Inhalt. Der Preis-Premium ist folglich alleine auf die Verpackung zurückzuführen: auf das Glas.
Warum? Weil die Glasflasche schwerer ist, fühlt sie sich wertvoller an. Unwillkürlich schließen wir daraus, dass auch der Inhalt hochwertig ist. Das „Klack“ beim Öffnen gilt als Frische-Garantie und vermittelt dem Konsumenten die Sicherheit, dass er der erste ist, der die Flasche öffnet.
Für diesen subjektiven und völlig irrationalen Nutzen sind Kunden also bereit, ein umständlicheres Handling und einen höheren Preis in Kauf zu nehmen. Macht das Sinn? Nein.
Warum es dennoch so ist, erklärt die Neurowissenschaft: Unser Gehirn arbeitet mit zwei Systemen – dem „Autopiloten“ und dem „Piloten“. In die Tiefe gehen hierzu die Forschungen von Professor Daniel Kahnemann, für die er 2002 mit Vernon L. Smith, den » Wirtschaftsnobelpreis erhielt, sowie die Arbeiten von Christian Scheier und Dirk Held.
95 Prozent aller Kaufentscheidungen fällen wir unterbewusst
Wenn wir im Supermarkt vor dem Ketchup-Regal stehen, wird unser Autopilot aktiv: Blitzschnell verarbeitet er verschiedene Eindrücke gleichzeitig – das, was wir sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken – und er veranlasst, dass wir quasi automatisch zum Heinz Ketchup im Glas greifen. Der renommierte » Harvard-Professor Gerald Zaltman schätzt, dass 95 Prozent (!) unserer Kaufentscheidungen vom Autopiloten getroffen werden.
Die Funktionsweise des Autopiloten ist mit jenem im Flugzeug vergleichbar: Das, was – nach Erreichen der Flughöhe – automatisch ablaufen kann, erledigt der Autopilot. Der Pilot greift aber ein, sobald er den Eindruck gewinnt, dass der Autopilot nicht zuverlässig arbeitet oder es Störungen gibt. Dann beginnt der Pilot, die Arbeit des Autopiloten zu hinterfragen, systematisch zu analysieren und bei Bedarf abzuschalten.
Genauso handelt unser „Pilot“ im Supermarkt: Wenn wir zum Beispiel vor ein paar Tagen gelesen haben, dass in vielen Ketchup-Sorten viel zu viel Zucker enthalten sein soll, dann nehmen wir womöglich nicht automatisch das Heinz Ketchup im Glas, sondern wir beginnen, die Produkte und Marken detailliert auf ihre Inhaltsstoffe zu prüfen und zu vergleichen. Der Autopilot ist in diesem Fall ausgeschaltet.
Logisch, die Leistung des Piloten ist weitaus anstrengender als die des Autopiloten. Deswegen ist der Pilot auch nicht in der Lage, die gleich große Informationsmenge in derselben Zeit zu verarbeiten wie der Autopilot: Während der Autopilot eine Kapazität von 10 Millionen Bits aufweist, besitzt der Pilot nur eine Kapazität von rund 40 Bits. Nur dank der Fähigkeiten unseres Autopiloten sind wir überhaupt in der Lage, uns in der heutigen schnelllebigen und reizüberfluteten Welt zurechtzufinden:
Er bewertet viele Informationen gleichzeitig
eine Informationsverarbeitung ist nicht nur schnell, sondern auch hoch effizient
Er verarbeitet alle Arten von Informationen für alle Sinneskanäle
Er nimmt vielschichtige Informationen wahr
Welche Konsequenzen hat dies für die » Führung der Marke, damit sie den Kampf um Aufmerksamkeit und Präferenz für sich entscheiden kann? Sie muss den Autopiloten für sich gewinnen!
Sehen, Tasten, Riechen – der Autopilot wird mit Multisensorik überzeugt
Dabei ist zu beachten: Der Autopilot lässt sich nicht durch rationale Argumente überzeugen, sondern nur durch stimmige multisensuale Markenerlebnisse. Denn unser Gehirn verarbeitet eine Botschaft, die uns parallel über mehrere Sinneskanäle erreicht, schneller und bis zu zehnfach intensiver als ein isoliert ankommendes Signal. Je mehr Sinne gleichzeitig angesprochen werden, desto stärker die Wirkung
Der gezielte Einsatz von Multisensorik im Markenkontaktpunktmanagement hilft somit, den Wert der Marke schneller und spezifischer zu vermitteln – und den Autopiloten für sich zu gewinnen.
Die Kunst der multisensualen Markeninszenierung beherrscht beispielsweise Nestlé mit » Nespresso exzellent. Inspiriert von der Modewelt wird in den exklusiven Nespresso-Boutiquen die Kunst des Espresso-Genusses perfekt inszeniert.
Wer Kaffee kaufen will, will Kaffee riechen
Die Boutiquen werden weltweit nach einem einheitlichen Konzept gestaltet. Farben, Formen und Materialien widerspiegeln die Welt des Kaffee-Genusses. Die hervorragend geschulten Verkäufer offenbaren uns bereitwillig die Seele des Kaffees und klären uns kompetent über Herkunft und Besonderheiten der verschiedenen Grand Crus auf.
Die Einladung zur Degustation eines Grand Crus in der Carpe-Diem-Zone nach jedem Einkauf verführt uns nicht nur zum Ausprobieren neuer Sorten, sondern verstärkt auch die Botschaft der visuellen und akustischen Reize und sorgt somit dafür, dass sich das Markenerlebnis tiefer in unser Gedächtnis einprägt.
Um ein wirkungsvolles multisensuales Markenerlebnis zu kreieren reicht es nicht, möglichst viele Sinne anzusprechen. Entscheidend ist, dass die Botschaften, die über die verschiedenen Sinneskanäle gesendet werden, auch kongruent sind. Ein einziger unpassender Sinneseindruck kann das gesamte Markenerlebnis zerstören.
Dies musste die Kaffeehauskette » Starbucks schmerzlich erfahren, als sie 2008 begann, in einigen US-Filialen warme Frühstücks-Sandwiches anzubieten. Die Umsätze in den entsprechenden Filialen gingen drastisch zurück. Warum? Hätten Sie noch Lust ihren Caramel Macchiato zu trinken, wenn der ganze Raum nach Speck und Käse riecht? Eben!
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