
Airbnb will die Zahl der gelisteten Hotels deutlich ausbauen. Es ist eine Kampfansage an Wettbewerber, die im Airbnb-Territorium wildern – aber das Vorhaben kann für die Marke gefährlich werden. Bildquelle: © Airbnb
Airbnb – Weltverbesserer oder Wachstumswunder? Ein Appell zum Zehnjährigen
Artikel
12. November 2018 ▪ Lesezeit: ca. 3:50 Min.
Airbnb traf eine tiefe Sehnsucht der Menschen nach sozialer Integration und Teilhabe. Die Teilhabe der Gäste am Leben ihrer Gastgeber eröffnete eine neue Art des Reisens.
Keiner würde es bestreiten: Das einstige Startup Airbnb hat die Reisebranche disruptiert. In diesem Jahr feiert es zehnjähriges Jubiläum und steht kurz vor dem Börsengang. Es ist Zeit, als Fan der Marke einen Blick auf die Erfolge des Unternehmens und auf ihre künftigen Herausforderungen zu werfen.
Airbnb – Enabler von Beziehungen weltweit
In nur einer Dekade entwickelte sich das Startup zu einem milliardenschweren Unternehmen, auf dessen Börsengang Anleger begierig warten. Wie gelang der Tourismusmarke dieser rasante Aufstieg?
Aus finanzieller Not boten die Gründer Brian Chesky und Joe Gebbia in ihren vier Wänden Schlafplätze in Form von Luftmatratzen an, Frühstück inklusive. Eigentlich wollten sie damit nur ihre Miete aufbessern, doch sie erkannten schnell, dass die Begegnungen und Freundschaften, die dabei entstanden, weitaus wertvoller waren. Bald entwickelte sich daraus eine Vision, die weit über das Monetäre hinausging: Warum sollte es nicht eine Welt geben, in der jeder ein Gefühl der Zugehörigkeit erfährt? Egal auf welchem Kontinent, in welchem Land oder in welcher Stadt er sich gerade befindet? Damit würde jeder Ort zu einem Zuhause.
Diese höchst emotionale Idee für unser Zusammenleben machte den Marktplatz für private Unterkünfte zu einer Beziehungsplattform. Bei Airbnb geht es nicht einfach um das Organisieren einer Reise, sondern darum, Menschen zusammenzubringen. Die Plattform wurde zum Enabler für neue Beziehungen rund um die Welt.
Mit einer starken Vision zu starkem Wachstum
Mit dieser Ausrichtung traf Airbnb eine tiefe Sehnsucht der Menschen nach sozialer Integration und Teilhabe. Die Bereitschaft der Gastgeber, ihre Gäste an ihrem Leben teilhaben zu lassen, eröffnete eine bis dahin unbekannte Art des Reisens. Wir wollen nicht länger anonyme Touristen in einem x-beliebigen Hotel sein, ein Besucher auf Zeit und Beobachter von außen. Wir wollen zu einem Teil des Geschehens werden und den Alltag in Städten und Kulturen, die uns noch fremd sind, mitleben.
Diesen Wunsch teilten viele Menschen und ihre Haltung sorgte für eine hohe Markenbegehrlichkeit, die Airbnb rasant wachsen ließ. Der Erfolg verdeutlicht, wie extrem anziehend eine emotionale Vision in einer Welt wirkt, in der Mobilität und Reisen zur Normalität geworden sind. Kunden kaufen heute nicht mehr Produkte und Dienstleistungen, sondern erfüllen sich ihre innersten Sehnsüchte.
Airbnb blieb seiner Vision bisher treu
Bislang blieb Airbnb seiner Ausrichtung treu und erweiterte das Angebot um „Entdeckungen" und „Restaurants" – Leistungen also, die den Kerngedanken von Zugehörigkeit und Teilhabe stützen. Dagegen wurde auf Flüge und Mietwagen verzichtet. Das geplante Vorstoßen in ein neues, höheres Preissegment mit Airbnb Plus kann ebenfalls gelingen. Denn für Kunden entscheidend ist das Erlebnis, nicht der Preis bei der Wahl der Unterkunft – jedenfalls noch. Denn aktuell schlägt das Unternehmen einen gefährlichen Wachstumskurs ein.
Künftig sollen mehr Hotels auf der Plattform zu finden sein
Zu Beginn des Jahres verkündete Brian Chesky, Mitgründer und CEO, Airbnb wolle die Zahl der Hotels deutlich ausbauen. Wirtschaftlich soll damit das starke Wachstum des Unternehmens fortgesetzt werden. Doch Expansionsstreben ist nicht der einzige Grund dafür: Gleichzeitig ist es eine Kampfansage an Wettbewerber wie booking.com und Expedia, die mehr und mehr im Airbnb-Territorium wildern.
Booking.com bietet mittlerweile 5 Millionen sogenannter alternativer Unterkünfte an, Angebote abseits klassischer Hotels. Und auch die Expedia Group wurde mit HomeAway zum Konkurrenten. Treu dem Motto „Wie du mir, so ich dir" startet Airbnb die Gegenoffensive und will mehr Hotels auf seiner Plattform platzieren.
Im Jahr 2017 belief sich die Anzahl gelisteter Hotels laut eines Tweets von Brian Chesky bereits auf 15.000. Nun soll weiteren Hotels der Einstieg erleichtert werden, beispielsweise über eine Kooperation mit SiteMinder, dem Anbieter einer Software für Hotels zur Verwaltung von Buchungsportalen mit 28.000 Kunden weltweit. Dieses Tool schafft eine Schnittstelle zur Echtzeitverknüpfung mit Airbnb.
Die Marke verlässt das Beziehungsgeschäft
Vordergründig achtet Airbnb zwar auf einen Fit zwischen Marke und angebotenen Hotels, weshalb die Plattform sich, laut eigener Aussage, ausschließlich für kleine familiengeführte Hotels, Boutique-Hotels und B&Bs entscheidet. Sieht man sich allerdings die Anforderungen an Hotels an und lauscht dem Interview mit Nathan Blecharczyk, liegt der Fokus überwiegend auf der Außergewöhnlichkeit, dem visuellen Erlebnis sowie dem lokalem Bezug.
Das entspricht in der Tiefe nicht der starken Vision Airbnbs und auch nicht den Erwartungen der Airbnb-Community von Zugehörigkeit und Teilhabe. Es hat nichts zu tun mit dem Eintauchen in die Lebenswelt anderer Menschen und dem Aufbauen von Beziehungen.
Airbnb riskiert Vertrauen und Glaubwürdigkeit
Nun werden sicherlich Stimmen laut, die sagen: Auch bei privaten Gastgebern könne man nicht sicher sein, dass sie ihre Gäste in ihr Leben einbeziehen. Das stimmt natürlich und ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen: Von dem ein oder anderen Gastgeber gibt es durchaus vorgefertigte Nachrichten und der Check-In findet manchmal über Schlüsselboxen statt, sodass man nicht einmal in persönlichen Kontakt mit dem Gastgeber kommt.
Doch bleibt die Frage, ob das Erlebnis nicht schon allein dadurch entsteht, dass man sich in keinem klassischen Hotel befindet, sondern in einer privaten Wohnung? Und damit in demselben Umfeld, in dem Einheimische leben? Das ist, was die Fans dieser Marke erwarten.
Weicht Airbnb zu sehr von seinem Markenversprechen und damit den Erwartungen der Community ab, droht der Verlust des Vertrauens sowie der Glaubwürdigkeit der Marke. Und damit nicht genug.
Es droht die Vergleichbarkeit und ein Preiskampf
Warum ist diese Entwicklung riskant, vor allem für Airbnb? Die Marke passt ihr Angebot immer mehr dem seiner Wettbewerber an. Sollten die Nutzer ab einem gewissen Punkt keine ausreichende Differenzierung mehr wahrnehmen: Was hält sie dann davon ab, beim Anbieter mit dem besseren Preis zu buchen? Stand heute muss man sagen, dass booking.com sehr wahrscheinlich stärker mit günstigen Preisen assoziiert wird als Airbnb – zum Glück der Marke. Im schlimmsten Fall bedeutet es, dass Airbnb an Markenattraktivität verliert, starke Einbußen in der Unterkunftsvermittlung riskiert und damit am Ende die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens gefährdet ist.
Airbnb muss sich klar sein: Die Marke baut Beziehungen auf
Diese Entwicklung ist eine Gefahr, ihr Eintreten jedoch keineswegs in Stein gemeißelt. Als Fan der Marke wünsche ich Airbnb, dass sie sich ihrer Vision besinnt und das Wachstum innerhalb ihrer Grenzen sucht, nicht außerhalb. Dass sie sich in Erinnerung ruft, dass ihre Kunden nicht einfach eine einzigartige Unterkunft buchen, sondern Zugehörigkeit, Teilhabe und damit letztendlich eine Beziehung. Keine andere Marke kann dies mit derselben Glaubwürdigkeit tun – die nächsten zehn Jahre und weit darüber hinaus.
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