
Die wahllose Vielfalt der Angebote hat die Kulturmarke Ruhr.2010 überfordert.
Kulturmarken sind Leistungsspeicher: wie der „Kulturmarken-Award“ Marke und Kommunikation verwechselt
Vergangenen Oktober war es wieder soweit: Eine namhafte Jury ernannte die Kulturmarke 2010. Gewinner ist die Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010. „Kaum eine Marke hat in derart kurzer Zeit eine so hohe Bekanntheit und Beliebtheit in allen definierten Zielgruppen erreicht wie Ruhr.2010“, so die Begründung.
Endlich, mag man denken: eine markenzentrierte Denkweise hat nun auch bei Kulturunternehmungen Einzug erhalten. Endlich wird das Klischee widerlegt, dass die Kulturinstitutionen – fern von wirtschaftlichen Zwängen – im Elfenbeinturm genüsslich ihre Kunstfreiheit ausleben, egal, ob das jemand sehen, hören oder erleben will. Seht her, ruft der Kulturmarken-Award: Kulturmarken können sehr wohl erfolgreich, betriebswirtschaftlich effizient und noch dazu öffentlichkeitswirksam geführt werden, ganz ohne Konzessionen bei künstlerischer Freiheit und Qualität.
Aber Hand aufs Herz: Was hat diese Auszeichnung mit Marke zu tun? Wird hier nicht vielmehr ein perfekt gemachtes Marketing und saubere PR-Arbeit ausgezeichnet? Geht es hier nicht eher um öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, um Visualität, um einen gelungenen öffentlichen Auftritt? Wie gut kann denn eine Marke sein, die wahllos alle möglichen Zielgruppen erreichen will? Und warum wird hier eine Marke ausgezeichnet, die es 2011 nicht mehr gibt?
Seit 2006 existiert die Marke Ruhr.2010, für die sagenhafte 61,5 Millionen Euro in die Hand genommen wurden, um Veranstaltungen und -Orte zu finanzieren. Mit massivem Druck wurde Bekanntheit durch Werbung, Sponsoring, Vorträge etc. aufgebaut. Das Problem dabei war allerdings, dass eine ungeheure Vielzahl kultureller Angebote es schwer machte, eine klar fokussierte, profilierte Marke Ruhr.2010 aufzubauen. Für eine fast undurchschaubare Armada unterschiedlichster Veranstaltungen sollte die Marke als Klammer dienen: Vom BMX-Zirkus in Unna bis zum größten mehrstimmigen Chor der Musikgeschichte, vom Folkwang Museum bis zur Biennale für Internationale Lichtkunst. Aber Vielfalt überfordert, Vielfalt ist schwer zu strukturieren. Vielfalt ist wahllos und zumeist ein Ausdruck mangelnder Selbstbeschränkung. Vielfalt hat die Marke Ruhr.2010 definitiv überfordert.
Selbstverständlich ist es wichtig, für ein Kulturgut zu werben, es bekannt zu machen, damit viele Besucher in die Veranstaltungshallen strömen. Aber genauso wichtig ist es, in den Aufbau von Markenattraktivität zu investieren. Dann gelingt es, Menschen mit fokussierter Markenleistung anzuziehen anstatt ihnen hinterherzulaufen und sie willkürlich mit Werbung zu beschießen.
Kann man denn überhaupt so etwas schwer Messbares, Ephemeres, Künstlerisches als Marke führen? Man kann! Mit einer klaren Aufgabentrennung: Marke ist der verdichtete Ausdruck von Spitzenleistungen. Marken bleiben, bieten Orientierung und Identifikation, Ruhe und Beständigkeit. Marketing hingegen ist dazu da, die vorhandene Markenenergie in Form von Spitzenleistungen marktadäquat umzusetzen. Nicht mehr und nicht weniger.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Ruhr.2010 hat glanzvolle Momente geschaffen, ein gewaltiges Angebot realisiert und der Kultur im Ruhrgebiet neue reizvolle Perspektiven eröffnet. Die Auszeichnung als Kulturmarke des Jahres ist sicherlich verdient, gemessen an den kommunikationsorientierten Auswahlkriterien der Kulturmarken-Award Veranstalter. Wenn man jedoch einen Blick hinter die Kommunikationskulissen wirft und auf die dauerhafte Markenleistung schaut, werden viele Marken als Kommunikationsblasen entlarvt. Marken sind keine kurzfristigen Kommunikationsvehikel, sondern schaffen langfristige Werte durch bewiesene Spitzenleistungen.
Diese Leistungen in einer Kulturmarke zu verdichten braucht jedoch Zeit. Und gerade diese wird Kulturmarken, wie wir an der Marke Ruhr.2010 gesehen haben, nicht immer ausreichend gewährt.
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